Wenn Sie eine Studie zum Thema „vegetarisch-vegane
Lebenswelten“ planen, werden Sie zunächst recherchieren, wie hoch die
Grundgesamtheit der vegetarisch-vegan lebenden Menschen ist. Diese Information
ist für Sie höchst relevant, beispielsweise um die Stichprobengröße zu
bestimmen, welche wiederum die Voraussetzung für eine sogenannte
Power-Analyse ist (mit der Sie die
Wahrscheinlichkeit bestimmen, eine Hypothese angemessen testen zu können).
Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden Sie zunächst eine
dementsprechende Suche auf einer großen Suchmaschine starten. Auffällig ist dabei, dass die Daten von proveg bei Google
besonders hervorgehoben („hervorgehobene
Snippets“) werden:
Auf der Internetseite von proveginternational heißt es:
„Steigende Anzahl vegan-vegetarisch lebender Menschen“
„In Deutschland
ernähren sich rund 8 Millionen Menschen vegetarisch und 1,3 Millionen Menschen
vegan. Täglich kommen laut Schätzungen etwa 2.000 Vegetarierinnen und
Vegetarier sowie 200 Veganerinnen und Veganer hinzu.“
Belegt werden die
Zahlen zu vegan lebenden Menschen mit zwei Links:
Bei SKOPOS heißt es:
„In einer repräsentativen Befragung im Auftrag der Veganen Gesellschaft
Deutschland e.V. hat das Marktforschungsinstitut SKOPOS interessante
Erkenntnisse gewonnen.
Immer mehr Deutsche leben vegan
Laut aktueller Befragung leben bereits 1,3 Millionen Menschen in Deutschland
vegan...“
Anhand einer Stichprobe von 1000 Personen wurden die
Ergebnisse hochgerechnet. Genauere Ergebnisse finden wir hier nicht.
Der zweite Link führt zu
https://yougov.de/loesungen/reports/studien/vegan-studie/
Fazit: Bei einer Einwohnerzahl von etwa 82 Millionen
Menschen in Deutschland, leben nach diesen Statistiken fast 10 Millionen
Menschen vegetarisch oder vegan. Somit müsste
der Anteil vegetarisch-vegan lebender Menschen also die 10 %- Marke
überschreiten. Jährlich müssten zudem etwa 700 000 vegetarisch- und 70 000
vegan lebende Menschen dazukommen. In fünf Jahren müssten dann etwa 15 % der
Menschen vegetarisch oder vegan leben.
„In Deutschland ernähren sich 4.3 % der Erwachsenen im Alter von 18 bis 79 Jahren üblicherweise
vegetarisch. Bei Frauen ist diese Ernährungsweise mit 6.1 % weiterverbreitet
als bei Männern mit 2.5 %."
Diese Zahl liegt deutlich unter der Angabe bei
proveg. Sind die Ergebnisse
auch davon abhängig, wer den Auftrag zu
der Studie gibt?
Selbstverständlich liefern Studien keine exakten Zahlen. Es
wird eine kleine Anzahl, mehr oder weniger zufällig ausgewählter, Menschen
befragt, und die Ergebnisse dieser Stichprobe dann hochgerechnet. Daher werden
die Ergebnisse Befragungen schwanken. Wenn diese Schwankungen zufällig sind,
sollte der Mittelwert verschiedener Studien einen guten Anhaltspunkt für die
tatsächliche Anzahl geben.
Wir stellen hier einmal die Ergebnisse weiterer Untersuchungen
zusammen. Die ersten beiden Studien beziehen sich auf die Gesamtbevölkerung und
die dritte und vierte auf Menschen unter 30 Jahren.
Anteile der vegetarisch lebenden Menschen (in %) anhand vorliegender Studien:
6.10 Millionen vegetarisch lebende Menschen. 400.000
Personen mehr als 2017. Entspricht etwa 7.4 % vegetarisch-vegan lebenden Personen ab 14 Jahre (Link:
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/445155/umfrage/umfrage-in-deutschland-zur-anzahl-der-veganer/
)
Anteil der vegetarisch lebenden Menschen in Deutschland: 3.7
% (nur wenige vegan lebende Menschen in der Befragung)
6-11 Jahre: 1.3 % (m)
– 1.5 % (w)
12- 17 Jahre: 5.0 % (m)
– 8.1 % (w)
18-29 Jahre: 5.0 %(m)
– 9.2 % (w)
KiGGS baseline survey 2006: 3- 17 Jahre: 1.7 % (m)
– 3.2 % (w)
7 % Vegetarisch/ 2 % Vegan (mehr Frauen als Männer unter den
18-29- jährigen).
Wir sehen: In der aktuellsten Befragung liegt der Wert mit etwa 7.4 % vegetarisch
lebenden Menschen in der Gesamtbevölkerung und 950 000 vegan lebenden Menschen höher
als in den anderen Untersuchungen. Möglicherweise ist dies ein Beleg dafür, dass
die Zahlen tatsächlich zuletzt gestiegen sind. Dennoch liegen alle Ergebnisse
deutlich unter insgesamt 10 %.
Auch der Zuwachs liegt mit 200 000 neuen Vegetariern/Jahr deutlich
niedriger als von proveg geschätzt (weniger als die Hälfte davon).
Doch wir sehen: (noch) keine der Untergruppen überschreitet
die 10 % Marke, selbst nicht die, welche der vegetarisch-veganen Lebensweise
als besonders zugewandt gilt, nämlich die jungen Frauen zwischen 12-29 Jahren.
Woher kommt diese
Diskrepanz zwischen der „Wir-werden-immer-mehr- und- sind- auch-schon viele“ -
Wahrnehmung und den dagegen geringen Zahlen?
· Politische Strategie? Vegetarische Verbände, welche sich die Verbreitung vegetarisch-veganer Lebensweisen zum Ziel gesetzt haben, müssen sich natürlich daran messen lassen, ob dies auch gelingt. Es gibt sicher auch andere Erfolgsfaktoren, aber dieser ist sicher der Wichtigste.
Das bedeutet nicht, dass die Daten bewusst manipuliert werden. Es ist dennoch möglich, dass Marktforschungsinstitute ihre kleinen, aber sicher vorhandenen Freiheitsgrade, bei der Datenerhebung ausnutzen. Es macht einen großen Unterschied für die Ergebnisse, ob unter den zufällig ausgewählten 1000 Personen 20 oder 10 vegan lebende Menschen angetroffen werden. Da die sozio-demographischen Rahmenbedingungen gut bekannt sind, können schon kleine Veränderungen bei der Stichprobenziehung die Ergebnisse verändern.
Aus wissenschaftlicher Sicht wäre es zudem sinnvoll, ein sogenanntes Konfidenzintervall (Vertrauensintervall) mitanzugeben, wenn man von den Daten einer kleinen Stichprobe, Rückschlüsse auf eine größere Grundgesamtheit ziehen will. Zu dem Ergebnis würde man dann dazuschreiben, dass der Wahre Wert mit hoher Wahrscheinlichkeit zwischen X und Y liegt. Dies ist aber kein konkreter Vorwurf, da dies bei der Präsentation von Umfrageergebnissen generell nicht üblich ist.
· Erhöhte Verfügbarkeit und bessere Kennzeichnung vegetarisch-veganer Angebote?
Das hier große Entwicklungen stattgefunden haben, steht außer Frage. Statt einen Link zu setzen, verweisen wir auf den nächsten Supermarkt in Ihrer Nähe. Sie werden mit nahezu 100%-iger Wahrscheinlichkeit eine breite Palette an vegetarisch-veganen Produkten finden. Vor 20 Jahren war das nicht so. Diese Entwicklung hat sicherlich einen positiven Einfluss auf den Anteil vegetarisch-vegan-lebende Menschen, aber führt nicht zu dem deutlich höheren Anteil in der Bevölkerung.
Warum weisen wir nun auf diese Diskrepanz hin?
1. Studienplanung
Wenn Sie Studien zu dem Thema „vegetarisch-vegane Lebenswelten“ planen, müssen
Sie davon ausgehen, dass Sie selbst im universitären Kontext in Fächern mit
hohem Frauenanteil kaum mehr als 10 % vegetarisch bzw. vegan lebende Menschen
finden werden. Dies ist v.a. relevant, wenn Sie Gruppenvergleiche zwischen
omnivoren und vegetarisch-vegan lebenden Menschen planen.Beispiel: Wenn Sie 100 Personen
befragen, dann werden Sie wahrscheinlich nicht einmal 10 vegetarische Personen erreichen
und maximal eine vegan lebende – in den meisten Fällen zu wenig für einen
angemessenen statistischen Vergleich! Um die Gruppen Omnivor – Vegetarisch –
Vegan zu vergleichen müssten Sie Ihre Gesamtstichprobe nach der geringsten
Gruppe ausrichten. Um ca. 50 vegan lebende Menschen (nach dem Zufallsprinzip!)
zu finden, müssten Sie insgesamt 5000 Menschen befragen! (Alternativ können sie
selbstverständlich gezielt vegan lebende Menschen ansprechen, haben dann aber
keine Zufallsstichprobe vorliegen).
2. Politik
Der Anteil vegetarisch-vegan lebender Menschen wächst, ist immer noch gering.
Die optimistischen Schätzungen entsprechen anscheinend nicht der Realität,
insbesondere die Zahl (konstant) vegan lebender Menschen wird anscheinend
deutlich überschätzt. Aus PR-Gründen mag das sinnvoll sein, aber uns muss klar
sein: Auch die absolute Mehrheit der jungen und akademisch gebildeten Frauen (mindestens
90%) lebt weder vegetarisch noch vegan. Die erhöhte Medienpräsenz und die erhöhte Verfügbarkeit
vegetarisch-veganer Produkte hat die Wahrnehmung auf dieses Thema gelenkt- aber nicht die Anzahl der vegetarisch-vegan
lebenden Menschen erhöht. Dies ist eine wichtige Information für politische
Akteure. Die bisherigen Strategien scheinen nicht auszureichen. Politische
Akteure sollten ihre Energie auf wissenschaftliche Studien lenken, die Ihre
Strategien verbessern. Hier besteht noch viel Forschungsbedarf.